Depressionen verstehen. Ein sinnvoller Umgang damit

von | 13. Mai 2022

Vielleicht kennst du das auch. Du wachst morgens auf und hast so gar keine Lust aufzustehen. Dein Energielevel ist durch eine unruhige Nacht im Keller und du kannst dich zu nichts aufraffen. Dinge, die dir normalerweise Freude bereiten, machen keinen Spaß mehr. Es gibt auch nichts, auf das du dich wirklich freuen kannst. Alles ist so grau und sinnlos. Du würdest am liebsten im Bett bleiben, bis alles wieder besser wird. Wenn es dir so oder ähnlich auch schon einmal ergangen ist, dann hast du wahrscheinlich eine depressive Verstimmung erlebt. Im folgenden Beitrag erfährst du alles wissenswerte rund um Depressionen und wie du damit umgehen kannst.

Depressive Verstimmungen haben einen Auslöser

Deprimierte Phasen kommen vor und sind erst mal nichts ungewöhnliches. Meist geht dieser Verstimmung ein Ereignis voraus, welches dich vielleicht etwas aus der Bahn geworfen hat. Zum Beispiel eine Trennung, ein Berufswechsel oder ein gescheitertes Projekt. Normalerweise sollte so eine Phase auch schnell wieder vorüber gehen. Ist das aber nicht der Fall und du fühlst auch nach über zwei Wochen keine Verbesserung deiner Stimmung, könnte sich eine ernsthafte depressive Episode entwickeln.

Dreimal mehr LGBTIQ*-Menschen sind betroffen

Die depressive Episode oder verallgemeinert, die Depression, ist mittlerweile Volkskrankheit Nummer 1 in Deutschland. Jährlich erkranken rund 8% der Bevölkerung an einer Depression. Ganz besonders gefährdet sind dabei die Gruppe der LGBTIQ*-Menschen. Hier zeigen Studien, dass sogar dreimal mehr queere Menschen von einer Depression betroffen sind als der Rest der Bevölkerung. Diese Zahlen spiegeln aber vermutlich nicht das ganze Ausmaß der Krankheit wider. Statistische Daten beziehen in der Regel nur tatsächlich gestellte Diagnosen mit ein. Also wenn jemand einen Arzt aufgesucht hat und dieser die offizielle Diagnose Depression (bzw. depressive Episode) stellt.

Queere Menschen vermeiden den Weg zum Arzt

Sehr viele Menschen gehen mit ihren Leiden aber erst gar nicht zum Arzt. Insbesondere queere Menschen meiden häufig den Gang zu einem Arzt oder Therapeuten, da sie Angst davor haben, nicht wirklich verstanden zu werden. Sie fühlen sich unwohl, wenn sie sich jemandem anzuvertrauen müssen, der ihre Situation möglicherweise nicht nachvollziehen kann. Fehlende „Queerkompetenz“ der Helfenden wird also unterstellt. Stattdessen betäuben viele Betroffene ihre Probleme lieber mit Mitteln wie Alkohol und anderen Drogen. Eine Bewältigungsstrategie, um die unangenehmen Gefühle wenigstens zeitweise nicht spüren zu müssen. Vermutlich ist das auch der Grund, warum Alkohol- oder generell Substanzmissbrauch bei queeren Menschen viel häufiger vorkommt als bei heterosexuellen Menschen. 

Ursachen der Depression sind vielfältig

Die Ursachen für eine Depression sind, wie bei den meisten psychischen Krankheiten, nicht auf einen einzelnen Faktor zurückzuführen. Die Genetik spielt z.B. eine Rolle. So gibt es Menschen, die einfach aufgrund ihres Erbgutes anfälliger sind für Depressionen. Biologische Faktoren können ebenfalls Ursache sein (wenn z.B. Funktionsstörungen bzw ein Ungleichgewicht im Gehirn vorliegen und wichtige Botenstoffe wie Serotonin oder Dopamin (die sogenannte Glückshormone) nicht in ausreichender Menge ausgeschüttet und verarbeitet werden). Der wohl größte Faktor bei der Entstehung von Depressionen ist aber die Beeinträchtigung in der psychosozialen Entwicklung.

Erziehung und soziale Entwicklung sind Hauptursache für Depressionen

Dass psychosoziale Faktoren einen erheblichen Anteil an der Entstehung einer Depression haben, zeigt die Statistik der queeren Menschen. Würden nur erbliche Faktoren oder dysfunktionale, biologische Vorgänge eine Rolle spielen, wären alle Gruppen gleichermaßen betroffen. Da aber insbesondere LGBTIQ*-Menschen vermehrt von Depressionen betroffen sind, liegt der Schluss nahe, dass Erziehung und soziale Entwicklung in der Kindheit und Jugend einen enormen Einfluss auf das Ausbrechen dieser Krankheit haben.

Depressionen können auf eine Entwicklungsstörung hindeuten

James McCoullagh, der Erfinder der CBASP-Therapie (eine Therapie speziell für chronische Depressionen), geht davon aus, dass Depressionen auf eine massive Entwicklungsstörung hindeuten können. Wenn Kinder z.B. von ängstlich-fürsorglichen Eltern erzogen wurden, konnten sie meist keine notwendigen Erfahrungen mit Fehlschlägen sowie dem Umgang mit Frust erlernen. Den Kindern wurde entweder alles abgenommen, wenn eine Aufgabe zu schwierig erschien, oder aber ihnen wurde alles verboten, damit sie sich bloß nicht in Gefahr begeben.

Missbrauch ist ebenfalls ein Faktor für Depressionen

Emotionaler, physischer oder sexueller Missbrauch in der Kindheit und Jugend sind ebenfalls Ursache für einen Entwicklungsstop des Kindes. Solche Erfahrungen sind so überwältigend, dass das Kind diese Erlebnisse abspaltet und niemals lernt, damit richtig umzugehen. Auch in diesem Fall bleibt das Kind auf einem frühen Entwicklungsstand stehen. Dieses „innere Kind“ lebt dann als Anteil in dem Menschen weiter und verursacht merkwürdiges Verhalten, was dem Alter aber gar nicht angemessen ist (z.B. irrationale Angst, eingeschnappt sein, passiv aggressives Verhalten etc.).

Queere Menschen wurden in ihrer gesunden Entwicklung gestört 

LGBTIQ*-Menschen haben zudem noch andere Schwierigkeiten mit ihrer Entwicklung. Gesellschaftliche Normen einer heterosexuellen Gesellschaft bestimmen Erziehung und Sozialisierung der Kinder. Queere Menschen wachsen quasi in einer Welt auf, in die sie im Grunde erst einmal nicht hineinpassen. Dieses Anderssein gräbt sich tief in ihr Unterbewusstsein ein. Mobbing und Ausgrenzung passiert hier viel häufiger. So vermeiden es queere Menschen, unnötig aufzufallen, damit sie nicht ausgeschlossen werden und keine körperliche Gewalt fürchten müssen. Und damit bleiben für sie ebenfalls Entwicklungsschritte auf der Strecke, die wichtig gewesen wären. Nämlich die eigenen Bedürfnisse spüren, äußern und auch umsetzen zu können, ohne sich dafür zu schämen.

Innere Unruhe wird betäubt

Im Erwachsenenalter gehen diese Vermeidungs- und Anpassungsstrategien noch eine Zeit lang gut. Aber irgendwann schreien die kindlichen Anteile, die noch immer in ihrem frühen Entwicklungsstand feststecken, nach Aufmerksamkeit. Und das fühlt sich schmerzhaft und unangenehm an. Viele Menschen betäuben diese innere Unruhe dann mit Alkohol, Drogen, exzessiver Arbeit, übertrieben viel Sport usw., um die Anteile nicht spüren zu müssen. Heilung bzw. Nachentwicklung kann so aber nicht erfolgen

Ignorieren der inneren Anteile kann zu einer Depression führen

Werden diese Anteile konsequent ignoriert und weggedrückt, kann eine Depression entstehen. Man kann sich das Ganze wie ein Fass vorstellen, was langsam, tröpfchenweise mit Wasser gefüllt wird. Jedes Mal, wenn ein Bedürfnis ignoriert oder unterdrückt wird und man sich anderen unfreiwillig fügt, kommt ein weiterer Tropfen hinzu. Jedes Mal, wenn man sich ausgegrenzt, einsam, unterlegen oder wertlos fühlt, kommt ein weiterer Tropfen hinzu. Irgendwann ist das Fass voll und es folgt der letzte, sprichwörtliche Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt. Das kann zunächst in einem heftigen Wutausbruch enden oder direkt in eine Depression übergehen. Im beruflichen Kontext wird hier auch gerne von Burn-Out gesprochen. 

Depression ist Hauptgrund für Selbstmordversuche

Warum ist die Depression so gefährlich? Sie raubt einem nicht nur das Lebensglück und lässt alles trist, öde und hoffnungslos erscheinen. Depressive Episoden sind mittlerweile die Hauptursache für Selbstmordversuche. Vor allem bei LGBTIQ*-Jugendlichen ist das leider häufig zu beobachten, da sie zu der vulnerablen Gruppe gehören und ganz besonders oft von Ausgrenzung und Einsamkeit betroffen sind. Das bedeutet, dass es eine ernstzunehmende Erkrankung ist, die nicht leichtfertig schön geredet werden darf. Es besteht dringender Handlungsbedarf, wenn jemand ernsthaft an einer Depression erkrankt ist. 

Ausweg aus der Depression

Wie kommt man aus einer depressiven Phase wieder heraus? Wie bereits erwähnt, kann so eine Phase durch ein bestimmtes Ereignis, wie Trennung oder Verlust des Jobs,  ausgelöst worden sein. Dann ist es wichtig, dass man sich selbst die Zeit und Ruhe gönnt, bis sich alles wieder normalisiert hat. Sollte es sich aber um eine depressive Episode handeln, die länger anhält, ist definitiv professionelle Hilfe erforderlich.

Professionelle Hilfe bei depressiven Episoden in Anspruch nehmen 

An dieser Stelle möchte ich noch einmal explizit erwähnen, dass es keine Schande ist, sich Hilfe zu suchen. Ganz im Gegenteil, es ist ein mutiger und sinnvoller Weg, aus Krisen wieder herauszufinden, die man selbstständig nicht lösen kann. Depressionen gehören zu den psychischen Erkrankungen, die mit der richtigen Hilfe sehr gut behandelbar sind und daher nicht einfach ertragen werden müssen! Zuerst sollte der Hausarzt konsultiert werden. Dieser kann bei Bedarf z.B. Medikamente verschreiben und eine Überweisung zu einem Therapeuten empfehlen. Eine Psychotherapie ist sehr hilfreich und extrem wirksam bei Depressionen und sollte daher unbedingt in Anspruch genommen werden.

Eigene Maßnahmen gegen Depressionen

Darüber hinaus gibt es aber eine Menge Dinge, die man selbst tun kann, um seine Lage zu verbessern oder aber solchen Phasen vorzubeugen. Wer sich gerade akut in einer depressiven Stimmung befindet, dem wird es zunächst schwer fallen, sich zu irgendetwas aufzuraffen, aber es lohnt sich.

Höre auf deinen Körper 

Wenn du zu erschöpft bist, um etwas zu tun, dann gönn dir erstmal etwas Ruhe und tanke wieder Kraft, indem du dich von belastenden Verpflichtungen vorübergehend befreist. Dein Arzt wird dir in so einem Fall eine Auszeit ermöglichen. Den Kopf frei kriegen und eine Auszeit nehmen ist das Beste, was du tun kannst. Wenn du die Energie aufbringen kannst, dann erkundige dich auch nach Körperübungen, wie Yoga, Tai-Chi oder einfach Tanzen, um dich mit deinem Körper wieder in Einklang zu bringen.

Meditation

Meditation stellt immer noch eine der besten Möglichkeiten dar, sich dauerhaft von negativen Gedanken zu befreien und den Geist zur Ruhe zu bringen. Praktiziere einfach jeden Tag und fange mit 5-10 Minuten an. Dabei kannst du einfach deinem Atem folgen oder dir ein Mantra im Geiste aufsagen, bis sich alles in dir beruhigt. Bei Youtube gibt es zahlreiche gute Anleitung zum Thema Meditation.

Bitte andere Menschen um Unterstützung

Auch wenn es vielleicht schwer fällt, aber andere Menschen haben viel mehr Verständnis dafür, wenn es uns schlecht geht, als wir denken. Viele wollen sogar gerne helfen, warten aber darauf, gefragt zu werden. Also trau dich und schau, wer dich in deinem Umfeld unterstützen kann. Wenn du es als unangenehm empfindest, jemanden um Hilfe zu bitten, dann wechsel einmal die Perspektive. Zu helfen ist für jeden Menschen etwas sehr Erfüllendes. Es verbindet und verschafft gute Gefühle. Indem du aber jemanden nicht um HIlfe bittest, verwehrst du diesem Menschen diese positive Erfahrung, die er machen kann, wenn er dir hilft. Also trau dich!

Pflege soziale Kontakte

Zugegeben, wenn gerade alles hoffnungslos erscheint, dann ist man auch nicht in der Stimmung, sich mit anderen Menschen zu treffen. Aber genau dieses Vermeidungsverhalten hält die Depression leider aufrecht, weil du dadurch noch mehr vereinsamst und du deine Stimmung drückst. Am Anfang mag es schwer sein, sich aufzuraffen, aber es lohnt sich. Aktiviere alte Kontakte, fang klein an.

Fang wieder an zu träumen

Was war mal ein Wunsch von dir, als du noch klein warst? Welchen Traum hast du dir noch nicht erfüllt? Gehe in Ruhe in dich und träume davon, wie es ist, wenn du dir einen lang ersehnten Wunsch erfüllst. Der muss jetzt gerade nicht einmal realistisch oder in greifbarer Nähe sein. Es reicht aus, erstmal nur davon zu träumen und in das Gefühl einzutauchen. Alles andere ergibt sich dann von alleine.

Zusammenfassung

Depressionen bzw. depressive Episoden sind ein sehr ernstes Krankheitsbild, was sich mittlerweile zur Krankheit Nummer 1 in Deutschland avanciert hat. Gerade queere Menschen erleben , aufgrund ihrer schwierigen Sozialisierung in einer Welt, in die sie zunächst nicht reinpassen, solch schwierige Phasen im Leben. Ärztliche Hilfe und Therapie sind ein sehr guter Weg, um aus solchen länger anhaltenden Phasen wieder herauszufinden. Man kann aber auch viel für sich selbst tun, um dem ganzen vorzubeugen oder aus Stimmungstiefs wieder herauszukommen. Denn im Gegensatz zu einigen anderen psychischen Störungen, sind Depressionen sehr gut wieder loszuwerden.

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