Zuwenig Therapeuten mit Queerkompetenz

von | 7. Jul 2022

Dass besonders LGBTIQ-Menschen anfällig sind für psychische Erkrankungen, wie Depressionen oder Angststörungen, ist keine neue Erkenntnis. Viele Studien haben das mittlerweile belegt. So fand z.B. das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) heraus, das dreimal mehr queere Menschen von Depressionen oder Burnout betroffen sind, als heterosexuelle Menschen. Aber nicht nur die erhöhte Anfälligkeit für solche Erkrankungen ist ein Problem. Viele LGBTIQ-Menschen finden zudem keine professionelle Hilfe oder suchen sie erst gar nicht auf. Als Grund nennt das Kölner Jugendzentrum anyway unter anderem, dass es zu wenig Therapeuten mit echter Queerkompetenz gibt. In diesem Artikel gehe ich näher darauf ein, warum queere Menschen anfälliger sind für psychische Erkrankungen und warum es zu wenig Therapeuten mit echter Queerkompetenz gibt.

Sexuelle Orientierung ist keine Störung

Grundsätzlich hat die sexuelle Orientierung nichts mit einer psychischen Störung zu tun. Sie ist Ausprägung einer Variation in der Präferenz der partnerschaftlichen Geschlechtswahl. Mit anderen Worten: Vollkommen natürlich. Das wiederum bedeutet, dass alle LGBTIQ-Menschen auch das gesamte Spektrum an Krankheit, aber insbesondere auch an  Gesundheit, erleben wie heterosexuelle Menschen. Queere Menschen sind also nicht per Definition aufgrund ihrer Andersartigkeit krank, sondern völlig gesunde und mental fitte Menschen. Im Gegensatz zu dem heterosexuellen Teil der Bevölkerung sind sie jedoch leider sehr viel anfälliger für Krankheiten, insbesondere für psychische Störungen.

Minderheiten-Stress als eine Ursache für psychische Erkrankungen

Ursachen dafür gibt es viele. So erleben queere Menschen einen sogenannten Minderheiten-Stress. Das bedeutet, dass es sie mental belastet, zu einer Minderheit in der Gesellschaft zu gehören, die heteronormativ geprägt ist. Während sich heterosexuelle Menschen vor allem in sozialen Interaktionen keine Gedanken über ihre Art zu leben machen müssen, da sie aus Sicht der Gesellschaft ja die Norm darstellen, empfinden viele LGBTIQ-Menschen Schuld oder Scham für ihr Anderssein, verbunden mit der Angst vor Ablehnung bis hin zu tatsächlicher Diskriminierung oder körperlicher Gewalt. Das bedeutet, dass LGBTIQ-Menschen deutlich häufiger darüber grübeln, ob sie etwas von sich preisgeben wollen oder nicht. Sie sind ständig damit beschäftigt, ihre Umgebung zu scannen und sich auf andere Menschen einzustellen, welche sie nicht einschätzen können. Sowas kostet auf Dauer eine Menge Energie.

LGBTIQ wird toleriert aber nicht vollständig akzeptiert

Zwar hat sich die Haltung gegenüber LGBTIQ-Menschen in den vergangenen Jahren deutlich gebessert und Toleranz wird sich ganz groß auf die Fahne geschrieben, aber hier liegt eben auch das Problem. Denn jemanden zu tolerieren, bedeutet nicht automatisch, ihn auch zu akzeptieren, so wie er ist. Es hat einen faden Beigeschmack, als sei man zwar geduldet, aber dennoch abnormal und eigentlich nicht erwünscht. Diese Grundhaltung haben queere Menschen vor allem während ihrer Kindheit und Jugend erlebt, indem ihnen vorgelebt wurde, dass es erstrebenswert ist, sich einen gegengeschlechtlichen Partner zu suchen und dass alles andere komisch sei. Wer über einen längeren Zeitraum das Gefühl hat, von seinem Umfeld nur geduldet, aber nicht akzeptiert zu werden, wird auf Dauer davon krank. Es entsteht ein permanentes Gefühl des “nicht dazugehörens”, was wiederum Einsamkeit hervorruft. Solche schwierigen Gefühle sind nur schwer auszuhalten.

Mobbing und Diskriminierung verstärken das Problem

Viele queere Menschen haben zudem bereits Mobbing und Diskriminierung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung erfahren. Das sind Verstärker für psychische Erkrankungen, da es nicht nur ein vages Gefühl ist, sondern echte Ausgrenzung aus einer Gemeinschaft. Betroffene reagieren dann mit sozialem Rückzug, um sich vor weiteren emotionalen Verletzungen zu schützen. Das wiederum ist die Basis für eine Depression, denn wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen die Verbindung zu anderen. Nur auf uns alleine gestellt, sind wir in der heutigen Zeit zwar körperlich überlebensfähig, aber psychisch nicht. Es ist wie eine Blume, die zu wenig Wasser bekommt. Sie geht irgendwann ein.

Queere Menschen suchen sich seltener Hilfe

Das Thema sexuelle Orientierung ist somit sehr schambesetzt. Das gilt leider auch, wenn es darum geht, sich professionelle Hilfe zu suchen. Queere Menschen trauen sich teilweise nicht, einen Berater, Coach oder Therapeuten aufzusuchen, wenn sie Probleme mit ihrem aktuellen Leben haben, weil sie implizit glauben, sie würden sowieso nicht verstanden oder sogar dafür ausgelacht werden. So suchen sich LGBTIQ-Menschen entweder keine Hilfe und versuchen die Probleme irgendwie mit sich selbst auszumachen oder aber sie suchen sich Hilfe, verschweigen ihre sexuelle Orientierung dann aber aus Angst und Scham davor, auch noch von der helfenden Person abgelehnt zu werden. 

Therapeuten fehlt es an Erfahrungen

Ganz zu unrecht sind diese Befürchtungen tatsächlich nicht. Denn unsere Gesellschaft ist nach wie vor geprägt von Vorstellungen, in denen es genau zwei Geschlechter gibt und die Beziehung zwischen Mann und Frau als normal und erstrebenswert angesehen wird. Auch wenn heterosexuelle Therapeuten aufgrund ihrer Empathie und ihres vielfältigen Menschenbildes, welches sie zwangsläufig als Voraussetzung für ihre Arbeit mitbringen müssen, offen und flexibel sind in ihrem Denken gegenüber queeren Menschen, haben sie dennoch nur eine theoretische Vorstellung davon, wie sich LGBTIQ-Menschen wirklich fühlen. Es fehlt ihnen an echter Queerkompetenz.

Es fehlt an LGBTIQ-Wissen in Ausbildungen

Damit will ich den Beratern, Coaches und Therapeuten nicht ihre Kompetenz im Umgang mit LGBTIQ-Menschen absprechen, denn am Ende sind die Symptome für psychische Störungen dieselben, wie bei jedem anderen Menschen. Aber die Herangehensweise, um queere Menschen zu verstehen und sie dazu zu veranlassen, sich zu öffnen, ist eine andere. Und hier fehlt es schlicht noch an Wissen in den Ausbildungen, um diese Queerkompetenz zu fördern. Das Thema sexuelle Orientierung wird in den verschiedenen Studiengängen und therapeutischen Ausbildungen wenig bis gar nicht behandelt. Dabei wäre das gerade wichtig, um ein Grundwissen zu vermitteln, so dass Helfende sich viel besser auf queere Personen einstellen können und damit die Chancen erheblich erhöht werden, dass LGBTIQ-Menschen geholfen werden kann.

Queere Helfer zeigen sich nicht

Die Scham über die sexuelle Orientierung besteht aber auch auf Seiten der Helfenden. So gibt es viele Homo- oder Bisexuelle Coaches und Therapeuten, die sich als solche aber nicht zu erkennen geben, weil sie es sich bei ihren Klienten und Kollegen nicht „verscherzen“ wollen. Sie haben Angst, dass ihre Homo- oder Bisexualität ihren Ruf abwerten könnte und sie dann nicht mehr als professionell wahrgenommen werden. Damit verbunden ist die Angst dann keine Klienten mehr zu bekommen. Im Grunde also eine Existenzangst. Das ist auch gut nachvollziehbar. Somit ist auch auf der anderen Seite des Tisches noch Raum für Verbesserungen.

Die Gesellschaft darf sich weiter entwickeln

Wie kann diesen Problemen begegnet werden? Vor allem darf sich die Gesellschaft weiter öffnen und anders denkende und lebende Menschen nicht nur tolerieren sondern echt akzeptieren und inkludieren. Das ist ein Prozess, der sich jedoch nicht kontrollieren lässt. Die Gesellschaft befindet sich bereits in diesem Umdenk-Prozess und es gibt zahlreiche Menschen und Institutionen, die regelmäßig für mehr Sichtbarkeit und Rechte dieser Menschen kämpfen. Es wird aber noch sehr viel Zeit brauchen, bis das Thema sexuelle Orientierung gut integriert ist.

Queerkompetenz früher vermitteln

Gerade aber in den Ausbildungen für helfende Berufe ist es wichtig, dass das Thema sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität und Diversity viel mehr adressiert wird. So sollte in den medizinischen, psychologischen und pädagogischen Studiengängen sowie den Ausbildungen für Berater, Coaches und Therapeuten, LGBTIQ-Themen explizit behandelt werden und die Besonderheit im Umgang mit diesen Menschen besser geschult werden. Hier darf gerne auf das Wissen der Community zurückgegriffen werden, indem nicht nur theoretische Grundlagen der Psychologie gelehrt werden, sondern indem echte queere Menschen ihre eigenen Erfahrungen mit einfließen lassen und somit eine gewisse Qualität sichergestellt wird und echte Queerkompetenz vermittelt wird. Dann fällt es vielleicht auch queeren Therapeuten leichter, sich als solche zu zeigen und zu positionieren. Denn davon gibt es viel zu wenig.

Fazit

Ein größeres Angebot an Helfenden mit echter Queerkompetenz ist sehr wünschenswert, da es dann auch betroffenen LGBTIQ-Menschen mit psychischen Leiden leichter fällt, sich gezielt Hilfe zu suchen. Grundsätzlich ist es immer eine sehr gute Idee, sich Hilfe zu suchen, wenn Probleme bestehen. Das können für LGBTIQ-Menschen spezielle Beratungsstellen oder Jugendgruppen sein. Zudem gibt es spezielle Listen, welche queerfreundliche Praxen für Hilfesuchende führen (z.B. inqueery, queermed). Es ist natürlich für viele Menschen unfassbar schwierig, die Angst und Scham zu überwinden, sich Hilfe zu suchen. Wenn dabei aber ein deutlich besseres Lebensgefühl bei rum kommt, lohnt sich die initiale Überwindung. Immer!

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