Warum finde ich keinen Freund?

von | 20. Aug 2021

Diese Frage habe ich mir auch lange gestellt und ich gebe zu, die Antwort auf diese Frage ist sehr vielschichtig und hängt von vielen individuellen Faktoren ab. Aber wenn du als schwuler Mann schon sehr lange auf der Suche nach einem festen Partner bist, es aber trotz vieler Dates einfach nicht klappen will oder bestehende Beziehungen nie lange halten, habe ich vielleicht eine Idee für dich, woran deine Probleme liegen könnte.

Der Grund warum du keinen Freund findest ist: „Du willst gar keinen Freund„!

Uff. Tief durchatmen!

Bevor du jetzt direkt die Seite hier zu machst und denkst „Was für ein Spinner, natürlich will ich einen Freund“.

Lass mich  erklären wie ich das meine:

Eine gute Freundschaft reicht erstmal

Auch ich war sehr lange auf der Suche nach einem festen Freund. Neben ein paar kürzeren Beziehungen (falls man das überhaupt so nennen darf), war aber nichts Zählbares dabei. An zu wenig Dates lag es jedenfalls nicht. Denn davon hatte ich jede Menge und in der Schwulenszene ist es heutzutage recht einfach an Treffen zu kommen. Ich hab mir vor jedem Date immer gesagt: „Muss ja keine Beziehung werden, eine gute Freundschaft reicht mir erstmal und wenn mehr daraus wird, umso besser“. Kennst du das von dir auch? Also bei mir hat dieser Vorsatz nie gehalten. Direkt beim ersten Aufeinandertreffen waren meine Sensoren wieder voll auf feste Beziehung ausgefahren (ob es diesmal was wird?). Der Richtige war aber nie dabei. „Hab halt noch nicht den Richtigen getroffen“ hörte ich mich sagen auf die Frage, warum ich denn immer noch Single sei. Eine bequeme Ausrede, um mir selbst nicht eingestehen zu müssen, dass ich in Wirklichkeit gar keinen festen Freund wollte. Jedenfalls unterbewusst.

Jeder der sie sich wünscht verdient eine Partnerschaft

Jetzt gibt es ja durchaus Stimmen, die würden sagen: „Genieße doch dein Single-Dasein“ oder „Monogame Beziehungen sind veraltete Ideale einer heterosexuell geprägten Gesellschaft“.  Das mag vielleicht sein, vielleicht auch nicht, ich weiß es nicht. Am Ende ist es natürlich die eigene Einstellung zum Leben, die entscheidet. Ich bin allerdings der Meinung, dass diejenigen unter uns, die sich wirklich von ganzem Herzen eine feste Partnerschaft wünschen, diese auch finden dürfen. Eben jene die nicht auf ein ewig tolles Single-Leben als Schwuler oder eine dauerhafte Anti-Haltung gegenüber der Gesellschaft setzen, sondern wirklich an die echte Liebe glauben. Und wenn sich dein Herz nach einer tiefen, monogamen Partnerschaft voller Liebe sehnt, dann sollst du sie auch haben.

Aber was genau meine ich nun damit, wenn ich sage, dass du in Wirklichkeit keinen Freund willst?

Du trägst eine Maske die gut sitzt

Die kurze Antwort ist, du bist innerlich davon überzeugt, dass du es nicht wert bist, dass dich überhaupt jemand nehmen, geschweige denn wirklich lieben könnte. Denn eine echte Beziehung einzugehen bedeutet sich zu öffnen, verletzbar zu machen, sich so zu zeigen wie du wirklich bist. Das ist jedoch ein großes Problem. Durch das Aufwachsen in einer heterosexuell geprägten Gesellschaft, mit dem Idealbild der Beziehung zwischen Mann und Frau hast du gelernt, dass du falsch bist. Um nicht von anderen ausgegrenzt zu werden hast du also gelernt dich niemals so zu zeigen wie du wirklich bist. Oder um es anders zu formulieren: Du hast gelernt eine Maske zu tragen. Diese Maske sitzt so gut, dass du vermutlich nicht mal mehr selbst weißt, wer du bist. Klingt das deprimierend?

Diese Maske nimmst du nun mit auf Partnersuche. Deine Profile der diversen Dating-Apps dürfen nur die besten Bilder von dir enthalten. Im optimalen Fall natürlich Oberkörper frei mit einem Top-Body (falls dein Körper das hergibt) denn das ist es ja, was andere Schwule anspricht! Oder etwa nicht? Der Profiltext sollte frech und ansprechend sein, aber nichts aus deinem Privatleben erzählen, denn sonst merkt noch jemand, wie du in Wirklichkeit bist, und das will ja nun wirklich keiner.

Dates scheitern trotzdem

Und ja, es funktioniert. Es werden Leute auf dein Profil aufmerksam und beginnen mit dir zu chatten. Ab diesem Zeitpunkt muss die zurecht geschusterte Außendarstellung gewahrt werden. Die Devise lautet „Niemand darf mich so kennenlernen, wie ich in Wirklichkeit bin, denn ich bin ja schließlich nicht liebenswert“. Geht das im Chat noch eine Weile gut, wirst du spätestens bei einem echten Treffen damit ziemlich sicher scheitern. Wir Menschen haben ein sehr feines Gespür, was die Authentizität von anderen Menschen angeht. Jeder von uns kann intuitiv spüren, ob jemand authentisch ist oder gerade eine Rolle spielt. Bei einem Date treffen also in der Regel zwei Menschen aufeinander, die versuchen eine Fassade aufrecht zu erhalten, um ihre inneren Kerne, die sie für wertlos halten, nicht preiszugeben. Beide strahlen förmlich aus, dass sie nicht wertvoll genug fühlen, eine Beziehung zu haben. Am Ende ist es ein netter Nachmittag, der aber irgendwie über Smalltalk nicht hinausgeht und doch recht oberflächlich bleibt. Jeder erzählt von sich selbst, was er alles kann und was er schon erreicht hat. Auf Ausführungen des Gegenübers wird nicht eingegangen. Wieder zuhause angekommen, sagt du dir dann „Ja war ja ganz nett, aber irgendwie wieder nicht der Richtige“. Und zack, bist du wieder online und checkst deine Dating Apps.

Angewendete Selbstschutzstrategie

Was dir hier vielleicht so bekannt vorkommt ist eine einfache Schutzstrategie. Du lässt niemanden wirklich nah genug an dich ran, weil du nicht willst, dass jemand deinen wahren Kern ergründen kann. Wer aber auf Abstand gehalten wird kann auch niemals dein Herz erobern. Mit anderen Worten, du findest keinen Freund weil du nicht willst, dass jemand erkennt, dass du es gar nicht wert bist einen Freund zu haben. Du willst also keinen Freund. Aus Selbstschutz. Lass das mal auf dich wirken. Wie fühlt sich das für dich an? Ist das schwer anzunehmen oder steckt hier doch ein bisschen Wahrheit für dich drin?

Ausweg aus dem Dilemma

Wie kommst du nun aus diesem Dilemma raus? Konkrete Dating-Tipps brauchst du an dieser Stelle noch nicht, denn zuerst einmal musst du dir deines eigenen Wertes bewusst werden, damit du auch innerlich wieder zu glauben beginnst, dass du es tatsächlich wert bist geliebt zu werden. Glaub mir dann wirst du andere Menschen und auch deine Dates ganz anders wahrnehmen. Dann geht es für dich nicht mehr darum, dich in dem bestmöglichen Licht zu präsentieren, denn das hast du dann nicht mehr nötig. Du weißt selbst, dass du ein toller Mensch bist. Du kannst dich also viel mehr auf dein Gegenüber fokussieren und seinen Geschichten lauschen.

Ein Selbsttest hilft

Mach doch einfach mal den Selbsttest. Vergleiche dich mal ganz ehrlich in zwei unterschiedlichen Situationen. Stell dir zuerst eine Situation vor, in der du ganz für dich alleine bist. (z.B. zu Hause) Was denkst du, was fühlst du, was tust du, wenn keiner zuschaut? Vielleicht singst du gerne unter der Dusche, spielst gerne am Computer oder du verlierst dich bei Youtube und kannst stundenlang von einem Video zum anderen zappen. Egal was es ist, ergründe mal, wie du bist und was dir Spaß macht, wenn du nur für dich alleine bist.
Und dann such dir eine Situation aus, in der du mit jemandem zusammen warst, den du anfänglich mochtest, bei dem du dann aber entschieden hast „Ne das isser nicht„. Konntest du dich so zeigen, wie du dich zu Hause zeigst, wenn du nur für dich bist? Oder verheimlichst du lieber Teile von dir, weil du Angst hast, dein Gegenüber könnte das komisch finden?

Anstrengung bei sozialen Kontakten

Wenn es da einen großen Unterschied gibt, wie du mit dir alleine bist und wie du bei jemandem anderem bist, dann verbiegst du dich vermutlich. So etwas kostet eine Menge Energie. Kein Wunder, dass es dann nichts wird. Auf Dauer so viel Energie zu investieren, nur um dein wahres Ich vor anderen zu verbergen ist anstrengend. Zu Hause für dich alleine spürst du dann diese Erleichterung und Leichtigkeit, so sein zu dürfen wie du bist. In Kontakt mit anderen spürst du dann diese Anstrengung, deine Fassade aufrecht zu erhalten, damit dich keiner komisch findet. Klar dass du dann unterbewusst auf die folgende Interpretation kommst:

Andere Typen = Anstrengung
Alleine sein = Freiheit

Dein Ziel ist es also, dich im Kontakt mit anderen so zeigen zu können, wie du wirklich bist. Ohne Angst haben zu müssen, der andere könnte dich komisch finden. Und das geht nur, indem du dir deines eigenen, fantastischen Wertes bewusst wirst. Dass du dich selbst als wertvoll ansiehst und kein anderer Mensch auf dieser Welt deinen Wert bestimmen oder sogar herabsetzen kann.

Selbstwert steigern

Den eigenen Selbstwert zu steigern ist eine Reise, die Zeit benötigt. Immerhin hast du dir deine schlechte Meinung über dich selbst auch nicht über Nacht angeeignet. Es gibt zahlreiche Bücher oder Anleitungen im Internet, wie du an deinem Selbstwert arbeiten kannst. Das ist ein guter Anfang. Im besten Fall suchst du dir noch ein Coach, der dich bei diesem Prozess begleitet. Ein Coach hat den Vorteil, dass er dir als eine Art Trainingspartner gezielt dabei helfen kann, dass du deinen eigenen Wert erkennst und steigern kannst. Das ist eine wertvolle Erfahrung und eine sinnvolle Investition in dein zukünftiges Leben.

In jedem Fall lohnt es sich. Erst wenn du dir selbst bewusst wirst, dass du es wert bist eine großartige Beziehung zu haben und nicht mehr das Gefühl hast, dass du dich für andere verbiegen musst, damit sie dich mögen, wirst du auch die entsprechende Ausstrahlung besitzen. Dann ziehst du automatisch auch die Männer in dein Leben, mit denen das möglich wird, und am Ende findest du dann ganz sicher auch deinen Freund 🙂

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